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Wir ehren Marga Simon zu ihrem 100. Geburtstag

Marga Simon feiert am 17. Juni 2025 ihren 100. Geburtstag

Am 17. Oktober 1944 kam der Chemnitzer Antifaschist Ernst Enge unter bis heute ungeklärten Umständen in der Haft im Kaßberg-Gefängnis ums Leben. In zahlreichen Betrieben der Industriestadt hatte er Widerstandsgruppen auch unter Mitarbeit von Fremd- und Zwangsarbeitern organisiert und vernetzt. Die Organisation hatte Verbindungen in das Umland, ins Erzgebirge, nach Leipzig und Berlin. Sein Netzwerk zählte 28 Gruppen.

Bereits seit 1933 betreute er geheime Verstecke mit Material sowie Waffen im stadtnahen Zeisigwald und schulte Mitkämpferinnen und Mitkämpfer. Mehr als ein Jahr verbrachte er in Haft in den Gefängnissen der Stadt sowie im Zuchthaus Waldheim. Schon vor der Machtübertragung an die NSDAP war der bekannte Gewerkschafter und Kommunist außerordentlich gut vernetzt über Parteigrenzen hinaus und pflegte politische als auch kulturelle Zirkel. Die jungen Aktivisten nannten ihn mit anerkennender Bewunderung Winnetou. Als es notwendig wurde abzutauchen, in die Illegalität zu gehen, wurde seine Tochter Marga seine engste Vertraute. Nur noch wenige Beteiligte können heute, 80 Jahre nach der Befreiung Auskunft geben. Marga Simon gehört zu ihnen. Im Lern- und Gedenkort in der einstigen Untersuchungshaftanstalt gibt sie per Video Auskunft, ist damit eine von zwei Zeugen, neben Günter Wach, die überhaupt über die Zeit 1933-1945 Auskunft geben. Sie lebt in Taura bei Chemnitz und ist im Verband der Verfolgten des Naziregimes, ihrer Hinterbliebenen und Freunde in Chemnitz aktiv. 

Liebe Marga kannst Du etwas Du Deiner Person sagen und unter welchen Bedingungen Du aufgewachsen bist? 

Meine Kinder- und Jugendjahre verbrachte ich in einem freundlichen Elternhaus, dass aber durch das schwere Leben geprägt war. Ich bin in Chemnitz am 17. Juni 1925 geboren. Ich bin die zweite Tochter meiner Eltern, Ernst Enge und Gertrud, geborene Arnold.

Mein Elternhaus war voller Harmonie und Wärme auch wenn es widersprüchliche Meinungen gab, waren Liebe und Achtung geboten. 

Mein Vater war durch die Ereignisse im 1. Weltkrieg, er war zur Infanterie einberufen, auf französischen Gebiet, mit dem Krieg nicht einverstanden und schrieb dies auch in den Briefen an seine Schwester Minna: 22. Oktober 1915 - „Wir sind alle so sehr kriegsmüde, daß man es gar nicht begreift warum es so weiter geht. Wohl auch den meisten Franzosen wird es eben so gehen, denn sie laufen sehr oft über. Wenn die Herren Kriegsmacher mal einen Tag in den Graben steckten, würden sie vielleicht bald Frieden schließen.

Auf ein baldiges Wiedersehen. Dein lieber Bruder Ernst.“ 

Nach dem Krieg, sie wohnten ja in Frankenberg, ging er in den Soldatenrat. Sein Freund der Rechtsanwalt war, brachte ihn dazu, damit Friede ist und Ruhe für die Bevölkerung.
In dieser Zeit fand er Kontakte zur Kommunistischen Partei, obwohl er in der SPD war. Er ist dann in den kommunistischen Verband eingetreten, da er dort seine Ansichten eher vertreten sah. Mein Vater erkannte, dass sein Vaterland, für das er im Krieg war, so nicht sein Vaterland sein kann. 

Zu Hause erlebte ich, dass mein Vater sehr kinderfreundlich war. Auch zu Jugendlichen suchte er stets den Kontakt und wollte, dass sie ein besseres Leben haben. So war er stets freundlich und unser Haus stand für alle offen. Dabei ging es nicht immer um Politik. Es gab Musiknachmittage, er spielte Zitter und Mutter Schifferklavier, Freunde kamen hinzu, die auch musizierten und wir Kinder haben gesungen. Kultur spielte immer eine große Rolle, so waren wir auch oft im Opernhaus oder im Theater, Vater und Mutter nahmen Ruth, meine ältere Schwester und mich, wir waren ja in dem Alter, mit. Und wenn es dann im Herbst Heim ging vom Theater und es war schon dunkel und der Himmel stand voller Sterne, erklärte er uns die Sternbilder. 

Wie politisch ging es bei euch zu? 

Das politische Leben spielte sich auch zu Hause ab. Nur als Beispiel; ich besuchte die Gablenzer Schule von der ersten bis zur achten Klasse. Ab der Vierten bekamen wir einen neuen Lehrer, er war ein ganz strenger Nazi, so wie auch der Schulleiter, der uns später auch überwacht hat und während dieser Zeit gab es das „Mutterkreuz“ und die Frauen die vier Kinder bekommen hatten bekamen dieses Kreuz. Und für meine Eltern stand die Frage, nehmen wir das an oder nehmen wir das nicht an? Sie haben es angenommen, doch dann kam es in den Aschkasten, es war mit der aktuellen Politik verbunden, die sie ablehnten. Verliehen hat es unserer Mutter der Schulleiter, der auch Ortsgruppenführer der NSDAP war. Ich war dann noch viele Jahre im Kirchenchor, bei Pfarrer Pollack in der Andreaskirche und wurde zur Konfirmation mit einem Gesangbuch ausgezeichnet. 

Was weißt Du über die Inhaftierung Deines Vaters? 

Mein Vater war bei der Firma Hamel. Dort war er in der Gewerkschaft im Vorstand. Er wurde 1928 entlassen und war dann in der RGO aktiv, als Hauptkassierer. Diese Revolutionäre Gewerkschaft hatte ihr Büro in der Sonnenstraße und Vater nahm mich und Ruth manchmal mit. Wir bekamen dann einen Zeichenblock und Stifte und haben uns da beschäftigt, während er seine Arbeiten verrichtete. Er war also ganz aktiv.

Seine aktive illegale Gewerkschaftsarbeit auch unter den Nazis war der Grund für seine erste Verhaftung. Er wurde im Juni 1933 verhaftet und an diesem Tag wurde auch bei uns eine Haussuchung gemacht. Auch die gesamte Korrespondenz mit seinem jüdischen Freund, ein Kaufmann, der 1933 mit seiner Familie nach England emigriert ist, haben sie mitgenommen und alle seine militärischen Auszeichnungen. 

Wir wollten den Vater besuchen. Meine Mutter hatte immer, wenn Vater verhaftet wurde, einen Nervenzusammenbruch. Darum ging Onkel Walter mit, der war ihr Bruder, um sie zu unterstützen.

Als wir zum Kaßberg zum Gefängnis hoch dann kamen, was hat uns da erwartet, stand der ganze Hof voll Leute, die ihre Eltern, ihre Kinder, also Angehörigen besuchen wollten und wir standen nahe der Haustür zum Gefängnishaus. Und da wurden wir verjagt, mussten wir räumen, an diesem Tag bekamen wir auch keine Genehmigung, unseren Vater zu besuchen. Onkel Walter hat das dann in die Hand genommen und versucht, eine Besuchszeit zu kriegen. Mit meinem Onkel und meiner Tante waren wir dann dort und haben ihn unter Aufsicht besucht. 

Noch einige Monate war er im Kaßberg-Gefängnis, wurde dann nach Dresden gebracht und da der Prozess gemacht. Zu zwei Jahren und fünf Monaten Zuchthaus verurteilt und fünf Jahren Ehrenrechtsverluste und er wurde dann nach Waldheim eingewiesen. Das war nun für unsere Familie natürlich sehr sehr traurig. Es gab keine Unterstützung, es war durch die Arbeitslosigkeit so schon nicht gerade um das Beste bestellt, obwohl er von seinen Geschwistern sehr unterstützt wurde. Meine Tante hat uns dann, ich glaube wir haben ihn dann alle acht Wochen besuchen können, begleitet und hat uns auch Geld gelassen. 

Wie hast Du Deinen Vater bei den Besuchen in der Haft erlebt? 

Wenn ich da überlege, er war sehr sehr mutig, aber auch sehr traurig, weil er seine Familie verlassen musste. Wir waren immerhin vier Kinder und er hing an uns, er war eben auch ein Mensch. Er grüßte die Verwandtschaft und Pflegte die Verbundenheit in der Familie auch so per Brief weiter. 

Was wußtest Du in dieser Zeit von der politischen Arbeit des Vaters? 

Als mein Vater 1935 entlassen wurde, hatte er wieder Verbindung zu seinem Kreis, wurde 1939 mit Kriegsbeginn erneut verhaftet. Gerade da war meine Schwester Ursel geboren und Mutter lag im Wochenbett und da bin ich selbst zur Gestapo, habe eine Besuchserlaubnis erhalten und konnte ihm Geld und einige Sachen bringen. Nach sechs Wochen wurde er entlassen. 1939 wurde zum Kriegsdienst verpflichtet. Ab 1940 gab es viele Zwangsarbeiter und er hat mit seinen Genossen zu diesen Kontakt aufgenommen. Von seinem Freund bekam er zu dieser Zeit ein Radio, vorher hatten wir kein Radio. Vater hörte bald Moskau und London und verwendete die Informationen. 

In der Firma, in der Verwaltung, hatte er zwei junge Leute, die Geschwister Hilde und Lotte Otto, kennengelernt, die ihn unterstützten. Vordem in der Volkshochschule, hatte er Französisch, Englisch und später dann für sich Russisch gelernt. 

Die Informationen aus dem Radio verarbeiteten sie dann in Flugblättern, die mit Hilfe eines Zwangsarbeiters weiter übersetzt wurden. Die sind dann in viele Betriebe verteilt wurden. Rudolf Harlaß hatte den Kontakt zu 23 Gruppen und mein Vater zu 28 auch in Betrieben. Im Zeisigwald hatte mein Vater ein illegales Waffenlager und er hat das immer kontrolliert und auch mit den Otto-Mädels war er dort. Er hat auch den Leuten gesagt, sie könnten auch Abstand nehmen von der Arbeit, denn der Widerstand war auf Leben und Tot und er würde ihnen nicht böse sein. 

Der Krieg ging weiter es war im September 1944, da waren dann eines Tages, am Grundstück, am großen Gartentor, zwei fremde Männer, das kam mir komisch vor. Ich sagte zu meiner Mutter: „Du Muttel das kommt mir komisch vor, da stehen zwei fremde Herren dort.“ Es war zu der Zeit wohl schon höchste Gefahr und gerade an diesem Tag war mein Vater wieder im Zeisigwald, um sein Waffenlager zu kontrollieren. Und da sagte Mutter zu mir: „Geh da mal runter und guck nur mal was da los ist!“ Und da bin ich runter und hörte, wie sie sich unterhielten und hörte wie der eine sagte: „Es is um zehne, um zehne kommt der immer zurück.“ Also wurden wir schon seit Wochen beobachtet. Also Vater wurde beobachtet. Das habe ich dann meiner Mutter gesagt. Jetzt kam mein Vater. Und das sagte ich dann auch meinem Vater: „Du Papa, da drüben stehen zwei Herren und ich habe gehört, wie die sagten, dass Du müsstest um zehn Uhr kommen.“ Da wurde er kreidebleich und sagte: „Muttel, ich muss weg, ich muss in die Illegalität gehen.“ Jedenfalls, wie aus dem Haus kommen? Mittag haben wir gleich gar nicht gegessen, also wie ist aus dem Haus zu kommen?
Es war nicht so einfach, war schwierig, hinter unserem Haus fließt die ein Bach, also mussten wir erst mal beraten. In der Zwischenzeit hatten sie bei uns Herrn Behrenz festgenommen, dachten, Vater ist es. Auf Grund der Personalien wurde festgestellt, dass er es nicht ist und er konnte dann wieder gehen. Also haben wir beraten, was wir tun. Meine Schwester Ruth, war damals schon verheiratet, hatte eine eigene Wohnung und haben wir gesagt, wir gehen zu ihr. Und wir hofften auf die Öffentlichkeit, dass sie nicht die ganze Familie mit fünf Kindern verhaften können. Das gelang, wir gingen, Vater in der Mitte in die Wohnung. Und mein Vater ist dann, über das Konzerthaus „Der Hirsch“, eine große Gaststätte geflüchtet. Und mit mir hat er ausgemacht: „Marga, wir treffen uns alle zwei Tage an der Hausen-Straße, um acht abends und Du berichtest, wie die Situation ist.“ 

Wie kam es zu eurer Verhaftung? 

Wir haben uns dann zweimal an der Hausenstraße getroffen und was war, die Gestapo hatte die Verbindung verloren, wusste nicht was los war und so kriegte mein Vater eines Tages eine Einberufung zur Wehrmacht. Es war eine Karte, die war schon mal an jemanden gegangen, der Empfänger war weg gestrichen, weg radiert und an meinen Vater neu adressiert. Wir trafen uns dann abends und er sagte: „Marga da musst Du hin, ich kann mich ja nicht melden.“ Weil sie ihn nicht hatten, hatten sie ihn also einberufen zur Wehrmacht.

Und da bin ich in die Post und habe die Karte zurück gegeben an die Post. Und in der Post, war damals eine Telefonzentrale und da standen wieder zwei Herren. Und ich habe die Karte zurück gegeben und gesagt: „Wenn Sie wieder mal eine Einberufung schicken, dann keine Karte, die schon einmal an jemanden gegangen ist, das ist nicht ehrwürdig.“ Und was war? Am nächsten Tage kam die richtige Einberufung. Und da bin ich dann zum Wehrkreiskommando, habe gesagt, dass wir nicht wissen, wo der Vater ist, wir wissen nicht, ob er sich etwas angetan hat, seit Wochen haben wir keine Verbindung. 

Vorher hatte er mich beauftragt, ihn bei seiner Firma als krank zu melden und sonst, dass wir ganz in Sorge sind, wo er sein könnte, er sei vermisst. Und meine Mutter hatte keine Unterstützung, so dass ich im Sozialamt Fürsorge beantragen solle und ihn bei der Polizei auch als vermisst. So waren meine Aufträge. 

Ich habe dann die Karte also abgegeben, wollte dann nach Hause und unterwegs in der Sozialfürsorge Unterstützung für meine Mutter beantragen. Sie haben mich aber offensichtlich beobachtet, ich bin dann in die Stadt rein gegangen, so wie das früher war, waren links und rechts der Straße zahlreiche kleine Geschäfte, große Schaufenster und da habe ich dann beobachtet, dass ich verfolgt wurde, habe in die Fenster geguckt und das bemerkt. Und bin dann erst mal ins Kaufhaus rein, habe erst mal geguckt, kann ich sie vertreiben, das war aber nicht so, als ich raus kam standen sie immer noch dort. Einmal waren sie aber dann doch weg. So bin ich in die Sozialfürsorge und habe nun wieder den Beamten gesagt, dass Vater seit Tagen vermisst ist und wir nicht wissen wo er ist und ich möchte für die Mutter und uns Kinder Fürsorge beantragen. Und er sagte ist gut und ging raus und da standen aber schon die Zwei von der Gestapo, waren also schon anwesend, kamen rein und haben mich verhaftet. 

Sie haben mich dann nach dem Kaßberg zur Gestapozentrale gebracht und dort verhört. Erstmal haben sie meine Handtasche untersucht und zeigten mir immer einen roten Zettel, und drohten wenn ich nicht aussage wo mein Vater ist, dass ich eingewiesen werde. Ich habe immer abgestritten, gesagt, dass wir nicht wissen, wo er ist und dass wir in großer Sorge sind, dass er sich vielleicht etwas angetan hat. Da haben sie mich dann erst mal in den Keller gesperrt, eine Zelle, da war nichts weiter als eine Tonne für die Notdurft. Und nach drei Stunden haben sie mich dann geholt für ein Kreuzverhör. Da hat der eine eine Frage gestellt und dann der und der, um mich in Bedrängnis zu bringen, zu verunsichern, dass ich vielleicht doch etwas aussage. Das war aber nicht der Fall und so haben sie mich dann abends in das Gefängnis in der Hartmann-Straße eingeliefert. Die Zelle hatte ungefähr 11qm und war überfüllt, ich hatte auch keine Unterlage zum Schlafen, so viele Leute waren da. Das waren nicht nur politische, da wurde alles verhaftet, zapzarap eingeladen, verschiedene Frauen auch aus dem Sexmilleu, die Zelle N° 72. 

Hattest Du irgendwelche Hilfe oder Kontakte in der Haft?

Vorher muss ich folgendes sagen: Eh mein Vater weg ist, sagte er noch: „Geh mal zum Schubert Curt (einem Genossen) und guck mal, ob der noch zu Hause ist, oder ob der schon verhaftet ist.“ Nu ja, und da bin ich zum Schubert Curt, da sind sie mir auch schon hinterher gelaufen, aber ich konnte sie dann abschütteln und so bin ich zum Schubert Curt. Und wie ich beim Schubert Curt war, bei der Wohnung, die wohnten Münchner-Straße, klingelte ich und da kam niemand. Und da machte dann auf einmal die Nachbarin auf, die wohnten im Erdgeschoss, und ich sagte ihr: „Ich wollte zu Schuberts.“ Da sagte sie: „Schuberts sind nicht mehr da, die sind verhaftet worden, er und seine Frau.“

Und wie ich dann eingeliefert wurde ins Gefängnis Hartmann-Straße, da war in der Zelle die Frau Schubert und so konnten wir uns orientieren, absprechen.

Wie lange warst Du inhaftiert? 

Ich war damals verlobt und mein Mann wollte auf Heiratsurlaub kommen. Er kam und ich war verhaftet. Und da ist er jeden Tag mit seiner Mutter zur Gestapo, um mich frei zu kriegen. Tagelang ist da nichts passiert, bis er eines Tages versicherte, er will mich mit nach Liegnitz nehmen, seine Einheit, er war bei der Luftwaffe, war dort stationiert. Da kam dann Bewegung in die Sache und ich wurde entlassen.

Wir haben dann in Chemnitz geheiratet. Nachdem wir unsere standesamtliche Vermählung hatten bin ich mit meiner Tante Minna zum Kaßberg, mit der Straßenbahn bis zur Weststraße und wir wollten meinem Vater, der zur Hochzeit nicht dabei sein konnte, wenigstens ein Paket Hochzeitskuchen bringen. Leider wurde das abgelehnt, es wurde nicht angenommen. Am Folgetag war dann die kirchliche Trauung.

In Liegnitz habe ich möbliert gewohnt und an einem Tag im Oktober kam einer in Zivil, sicher Gestapo, hat mir dann die Todesnachricht vom Vater überbracht

Wenn ich daran denke, es war eine ganz traurige Sache, was das meine Eltern gekostet hat, aber eben, wie gesagt, für mein Vater stand eben in erster Linie die Menschheit im Vordergrund, auch bei der Gefahr.

Du warst verhaftet. Wie ging es nun mit Deinem Vater weiter? Was ist Dir bekannt?

Da er ja nun mit mir keine Verbindung mehr hatte, ist er nach Chemnitz zu meinem Onkel. Dieser hatte einen Zigarettenkiosk, dort gab es auch Zusammentreffen mit verschiedenen Widerstandskämpfern. Vater war immer bewaffnet, das haben wir so nicht gewusst. Die engste Familie wurde ja nun überwacht und so ging er der Gestapo in die Falle. Vater wollte sich mit der Waffe verteidigen, ist gestürzt und sie haben ihn festgenommen.

Über den Friseur aus dem Gefängnis Hohe-Straße haben wir Informationen bekommen, wie es ihm ging.

Und wenn ich jetzt an die zwei Otto-Mädels denke, man hatte damals den großen Teil des Chemnitzer Widerstandes verhaftet, so 40 Personen, die wurden meinem Vater gegenüber gestellt. Und als die zwei Otto Mädels meinem Vater gegenübergestellt wurden, er war ja so zusammengeschlagen worden, da er Widerstand geleistet hatte und keine Aussagen machte, dass sie später sagten: „Wo wir Ernst gegenüber gestanden haben und wir haben ihn gesehen, wie er aussah, ganz zerschlagen, blaue Flecke, wir konnten nicht schreien, wir mussten still sein.“ Er wurde schwer misshandelt.

Mein Onkel war auch mit verhaftet worden, schwer Herzkrank und angeblich haben sie ihn tot in seiner Zelle gefunden.

Wir haben den Vater nicht mehr besuchen können.

Ich war noch in Liegnietz. Die Gestapo war dann bei meiner Mutter und die Gestapo hat die Todesnachricht meiner Mutter überbracht. Mutter fragte noch, ob Vater eines natürlichen Todes gestorben ist. Aber es gab keine Antwort, nur die Bemerkung; Wieso? Dann sollte meine Mutter die Sachen, Effekten abholen. Das konnte sie nicht, dass hat dann Tante Erna gemacht, sie holte die Sachen vom Kaßberg, doch die mussten weggeschmissen werden, die ganze Kleidung war verschmutzt, blutig.

Durch die Kontakte zum Friseur wussten wir ja, wie es ihm ging. Eines Tages wurde bekannt, er sei mit einem anderen Gefangenen in der Zelle und als dieser aus der Zelle genommen wurde, zum Friseur, hatte sich mein Vater wollen das Leben nehmen.

Aber wie kann ein Mensch, der Tag und Nacht gefesselt ist, wie kann er sich aufhängen und zwar am Fensterkreuz? Wir vermuteten immer, dass er von der Gestapo aufgehangen wurde. Er war noch am Leben und hat dann tagelang in der Zelle gelegen, ohne Bewusstsein. Der Gefängnisarzt hat ihn noch begutachtet, auf Grund des Geschehens. Es war sehr traurig. Meiner Mutter war das unerklärlich, als sie die Nachricht bekam, dass Vater nicht mehr lebt.

Wie ging es mit der Familie nach dem Tod von Ernst Enge weiter? 

Ich bin mit dem letzten Zug von Liegnitz nach Chemnitz gefahren, zu Kriegsende. So bin ich Heim. 

Es war schlimm für meine Mutter. Es war nicht einfach, sie stand dann mit uns sechs Kindern allein da. Ernstine meine Schwester war noch ein Nachzügler. Sie war damals dann Halbwaise.

Meine Mutter, auf Grund allem was sie durch gemacht hatte, erkrankte schwer. Meine Mutter starb dann bald und die Jüngste, Ernstine war Vollwaise und ich habe sie dann zu uns genommen und sie ist dann mit unseren beiden Jungs aufgewachsen.

Was weißt Du über den Tod von Gustav Klukas?

Mein Onkel war ja auch auf dem Kaßberg und schwer Herzkrank. Sie fanden ihn tot in der Zelle. Er war gerade 42 Jahre. Mein Vater und er waren im besten Mannesalter. Onkel Gustav wurde für die Beerdigung frei gegeben. Die Beisetzung sollte auf dem Andreasfriedhof stattfinden. Wir standen dort, die Familie und alle Trauergäste. Und dann konnte die Beerdigung nicht stattfinden. Die Gestapo hatte das untersagt.

Es ist schwer darüber zu reden. Ich möchte nicht, dass jemand so etwas erleben muss.

Danke für das Gespräch.

Gemeinsam mit ihrem Mann war Marga Simon oft in Schulen unterwegs und hat über sich und ihre Familie berichtet. Auch die Schwestern Ruth und Ernstine haben vor Klassen gesprochen und an die Verfolgung unter den Nazis erinnert. Bis zum Abriss des Wohnhauses in der Adelsbergstraße 45 befand sich dort eine kleine Gedenktafel. Eine Schule und eine Straße waren nach Ernst Enge benannt, zeitweise auch die Siedlung auf dem Schenkenberg. Heute gibt es die Straße im Hans-Beimler-Gebiet in Gablenz noch immer. Marga Simon stand Pate für den Stolpersteine in der Münchner-Straße 31 für Curt Schubert. Ein Stolperstein in Erinnerung für ihren Vater befindet sich auf der Hartmann-Straße 24.

Enrico Hilbert

Verband der Verfolgten des Naziregimes Chemnitz

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Wir ehren Marga Simon zu ihrem 100. Geburtstag

Kurzbiogragie Marga Simon

Am 17.Juni 1925 wurde Marga Enge in Chemnitz geboren. Sie war das 2. Kind der Arbeiterfamilie Enge und lebten im Stadtteil Adelsberg. Vater Ernst arbeitete in der Chemnitzer Maschinenfabrik „Carl Hamel“ und war aktiv in der Gewerkschaft und in Funktionen der KPD. Mit der Familie, zu der weitere 3 Schwestern gehörten, verlebte Marga eine schöne und harmonische Kindheit. In der Familie wurde häufig musiziert. Die Arbeitslosigkeit des Vaters in Folge der Weltwirtschaftskrise 1928 ließ die Familie noch enger zusammenrücken.

1931 wurde Marga in der Gablenzer Schule eingeschult.

Ernst Enge arbeitete weiter in der Gewerkschaft und nach der Machtergreifung der Faschisten illegal. 1933 wurde er verhaftet und im Gefängnis Hohe Straße gefangen gehalten. Im Hochverratsprozess zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das bedeutete für die Mutter mit den 4 Mädchen ein entbehrungsreiches Leben ohne den lieben Vater.

Marga nahm, als der Vater wieder zuhause war, am illegalen Kampf zunehmend bewusst teil und erlebte wie enge Kampfgefährten des Vaters und ihre Familien sich gegenseitig unterstützten und illegal zusammentrafen.

Nach der Schulenlassung begann Marga die Lehre als Schneiderin bei Tante Emma. Diese durfte aber nicht weiter ausbilden, weil sie keine Berechtigung hatte. Es folgte dann ein Pflichtjahr in einem Privathaushalt, das damals jedes Mädchen per Gesetz abzuleisten hatte.

Als Arbeiterin in einer Buchdruckerei verdiente sie 4 Mark in der Woche.

Marga wurde 1944 auch verhaftet und im Gefängnis Hartmannstraße verhört. Die Gestapo wollte wissen, wo sich der Vater befindet. Es war den Gestapo Leuten jedoch nicht gelungen etwas zu erfahren.

Als ihr Verlobter, Henry Simon, sagte, dass er Margot heiraten und mit zu seinem Lustwaffenstützpunkt nach Liegitz mitnehmen wolle, musste man sie wieder frei lassen.

Am 7. Oktober1944 heirateten Marga und Henry Simon in Chemnitz

Ende September 1944 wurde Ernst Enge wieder verhaftet brutal im Gefängnis Hohe Straße misshandelt und ermordet.

Die Mutter, Schwester Ruth und auch Marga zogen im Januar 1945 nach Oberlichtenau zu Tante Emma und brachten dort ihre Kinder zur Welt.

Im Mai 1945 waren sie alle wieder in Chemnitz und mussten, da die alte Wohnung durch die die Bombenangriffe des 5.März 1945 in Mitleidenschaft gezogen wurde, in eine kleine Wohnung mit den Säuglingen ziehen.

Am Ende 1945 kam Henry Simon aus der Gefangenschaft zurück und 1947 wurde der 2. Sohn geboren. Marga war bis 1951 Hausfrau und bei der Beseitigung der Trümmer in Chemnitz dabei.

Beruflich war Marga Simon in der Stadtverwaltung Chemnitz im Vollzugsamt und ab 1954 im Gesundheitsamt tätig. Durch die Pflege der schwer erkrankten Mutter, die Marga übernahm, war die Berufstätigkeit unterbrochen und erst1958 im Gesundheitswesen im Stadtbezirk Mitte-Nord und später in der Stadt tätig. Sie erlernte noch den Beruf als Industriekaufmann.

1970 bis 1982 war Marga beim Rat der Stadt Karl-Marx-Stadt und übte verschiedene verantwortungsvolle Tätigkeiten im Gesundheitswesen aus.

Zur Zeit der politischen Wende wirkte Marga Simon und ihr Mann um die Namen der revolutionären Kämpfer für Straßen, Plätze, Schulen, Wohngebiete… zu erhalten, die so viel für die Befreiung der Menschen vom Faschismus und der Beendigung des Krieges geleistet hatten und ihr Leben dafür einsetzten. Vieles wurde aber geändert auch der Name der „Ernst Enge Schule“ in „Grundschule Gablenz“ umbenannt.

Heute wirkt Marga Simon im Verein VVN-BdA Chemnitz aktiv mit und tritt gegen Neofaschismus, Fremdenhass und Kriegsvorbereitung ein.

Zur Wertschätzung gegenüber dem antifaschistischen Widerstand fand anlässlich der jährlichen Gedenkveranstaltung am 26. Januar 2007 ein Empfang im Rathaus statt. Marga Simon erhielt eine Einladung zu diesem Empfang. Frau 0berbürgermeisterin Barbara Ludwig würdigte ehrenvoll in ihrer Gedenkrede die Opfer des Nationalsozialismus. Anschließend erfolgte für die geladenen Gäste die Eintragung in das „Goldene Buch” der Stadt Chemnitz.

Am 25.09.2013 wurde ein Stolperstein an der Hartmannstraße (Polizeidirektion) für Ernst Enge mit der Inschrift „Flucht in den Tod“ gelegt. Dort war der Totenschein ausgefüllt worden.

Unsere Termine

Europäische Tage der Archäologie

14.06.2025 10:00 - 16.06.2025 18:00

Veranstalter: Landesamt für Archäologie Sachsen

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Mit einem umfangreichen Datenanhang und vier thematischen Karten liefert das Buch neuestes Forschungsmaterial für die sächsische Heimat- und Landesgeschichte.

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"Tagebuch eines Kriegsgefangenen" von Jan Deremaux (Herausgeber: AKuBiZ e.V., Schössergasse 3, 01796 Pirna, www. akubiz.de)

Das ursprüngliche Tagebuch aus den Niederlanden basiert auf Notizen auf losen Blättern. Während seines Aufenthaltes vom Februar bis April 1945 in Pirna hat Deremaux diese selbst zu einem Tagebuch zusammen getragen. Dem Tagebuch sind Texte vorangestellt die das Kriegsgefangenenwesen, die Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches und das System der Zwangsarbeit sowie die spezifische Situation der niederländischen Kriegsgefangenen und die Geschichte der Burg Hohenstein beleuchten.(RB)