bereits jetzt möchten wir zur Verlegung der Stolpersteine in Chemnitz für dieses Jahr am 29. Mai einladen und geben folgende Informationen weiter.
Vorstand VVN Chemnitz
29. Mai 2024 – Verlegung neuer Stolpersteine gemeinsam mit Akteuren der Stadt, der Arbeitsgruppe Stolpersteine, des Georgius-Acricola-Gymnasium und der Montessori-Oberschule, unseres Verbandes sowie Gunter Demnig
Der in Köln lebende Künstler Gunter Demnig wurde 1947 in Berlin geboren. Nach dem Studium für Kunstpädagogik, Industrial Design und Freie Kunst in Berlin und Kassel arbeitete er an verschiedenen Projekten.
1993 entstand die Idee zum Projekt "Stolpersteine". Diese Steine, die mit einer Gedenktafel aus Messing versehen sind, sollen an Opfer der NS-Zeit erinnern. Sie werden vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der Opfer in den Bürgersteig eingelassen. Die ersten dieser Steine verlegte der Künstler 1997 (zuerst illegal) in Berlin - Kreuzberg. Seit 2000 wurden, in dem nun offiziellen Projekt, mehr als 100.000 dieser Steine in über 430 Städten und Gemeinden in Deutschland, den Niederlanden, Polen, Österreich, Tschechien, der Ukraine und Ungarn verlegt.
"Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", sagt Gunter Demnig und will so die Erinnerung an diese Menschen lebendig halten.
In Chemnitz wird das Projekt vom VVN-BdA Chemnitz, der die Initiative zur Verlegung der ersten Stolpersteine im Jahre 2007 übernahm, und der Stadt Chemnitz getragen.
Für 120 Euro kann jeder eine Patenschaft für die Herstellung und Verlegung eines "Stolpersteins" übernehmen.
Es ist ein Projekt gegen das Vergessen: 300 „Stolpersteine“ lassen bisher in Chemnitz Menschen innehalten. Eingelassen in den Bürgersteig, erinnern die Gedenksteine an tragische Schicksale von Mitbürgern, die während des nationalsozialistischen Regimes verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Tod getrieben wurden. 10 mal 10 cm kleine Messingtafeln auf den Steinen geben Auskunft über Namen und die wichtigsten Lebensdaten dieser Menschen und markieren ihre letzten frei gewählten Wohn- oder Wirkungsstätten.
Gerade einmal 18 Jahre ist Siegfried Lässig geworden, als genau an seinem Geburtstag, in Berlin
der Reichstag brennt und die Faschisten mit offenem Terror ihren Widersachern begegnen.
Da war die bürgerliche Demokratie unter dem Druck von Rechts und mit Billigung der
konservativen Kräfte und Teilen des Bürgertums und Vertretern der Industrie und Wirtschaft längst
aufgegeben.
Doch der junge Chemnitzer, Schüler der Akademie, sein Traum war es, Bauingenieur oder Architekt
zu werden, hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst entschieden, auf welche Seite er sich in diesen
politischen Kampf stellen wird. War er doch geprägt, von Haus aus und durch Freunde, Kameraden,
Genossen und wenige Kommilitonen aus dem internationalistisch geprägten Esperanto-Bund, den
Freunden der Sowjetunion, der Roten Sporteinheit, des kommunistischen Jugendverbandes und des
Freien Radiobundes. Siegfried Lässig war ein begabter Zeichner, hatte Reisen unternommen u.a. an
die Ostsee, in die Schweiz und nach Polen, fand Freude am Kinobesuch, interessierte sich für
Sprachen, andere Länder und Technik.
Während am 9. Mai in etlichen Orten des Reiches die zukünftige Elite der Nation mit pompös
feierlichem Geschrei Bücher auf Scheiterhaufen in Flammen aufgehen lässt, ist Siegfried Lässig im
Widerstand gegen die drohende Barbarei bereits aktiv.
Heimlich verteilt er Flugblätter und Informationen zum Geschehen, versucht seine Mitmenschen
aufzurütteln, sich gegen die neue Ordnung aufzulehnen, sich zu solidarisieren. Die illegal
erscheinende Zeitung der Chemnitzer Kommunisten „Der Kämpfer“ und ein kleines Heft „Die
Mörder von Potempa“ bringt er, so gut es eben gehen kann, unter die Leute. Studenten, Arbeiter,
Unbekannte.
Vielleicht Unvorsichtigkeit, vielleicht mangelnde Erfahrung, auf jeden Fall Verrat und Denunziation
führen zu seiner ersten Verhaftung im August 1933. Er wird im Gefängnis auf dem Kaßberg und in
der Hartmann-Straße festgehalten, befragt, verhört, gefoltert, erpresst und ihm auch ein Angebot
zum Überlaufen unterbreitet. Nachweisen kann man Siegfried Lässig nichts. Bei den Verhören
bleibt er standhaft und leugnet. Eine Anklage oder gar Prozess finden nicht statt. Mit einem
„Schutzhaftbefehl“ wird er in das Konzentrationslager Sachsenburg überstellt. Vier Monate
durchlebt und überlebt er das Martyrium.
Der Chemnitzer Schriftsteller Stephan Hermlin wird später rückblickend über diese mutigen
Menschen berichten. Er stellt sich bereits früh gegen das Vergessen.
Aus „In einer dunklen Welt“: Wir waren junge Leute, die ihre Zeit verändern wollten und liebten
und die nicht wußten, was auf sie zukam: Verwirrung, schreiende Schmerzen, Enttäuschung und
Tod. Wir kämpften, so gut wir konnten, aber wußten noch lange nicht, mit wem wir es
aufgenommen hatten.“
Noch war Siegfried Lässig davon gekommen, stand unter Polizeiaufsicht, mußte sich täglich im
Polizeirevier Bernsdorfer-Straße 5d melden, konnte noch einmal an seine Arbeit und das Studium
zurück kehren. Seine Eltern unterstützten ihn aufopfernd, seine Freundschaften hielten und gaben
Kraft und Zuspruch.
Doch es dauert nur wenige Wochen, bis zur erneuten Verhaftung im Dezember 1933, bei der
routinemäßigen Meldung bei der Polizei. Ein Brief nach Frankreich wird ihm zum Verhängnis. Er
soll unwahre Behauptungen über die Zustände im 3. Reich ins Ausland geleitet haben und wird
festgenommen. Dabei ist der Brief in diesem Augenblick nicht das, woran Siegfried Lässig denkt,
denn ausgerechnet an diesem Tag führt er illegale Schriften und Flugblätter mit sich und es gibtkeine Möglichkeit mehr, sich dieser zu entledigen.
Es folgen erneute Verhöre und Folter von Polizei und Gestapo. Haft in der Hartmann-Straße und auf
dem Kaßberg. Dabei bleibt er standhaft, übt keinen Verrat, nimmt alles auf sich.
Im Februar 1934 kommt er vor das Sondergericht in Freiberg.
Die Presse weis zu berichten: „Wegen Aufstellung unwahrer Behauptungen hatte sich der 19jährige
Bauschüler Siegfried Lässig aus Chemnitz zu verantworten. Der Angeklagte hat am 9. Dezember
1933 an einen Studenten nach Frankreich einen Brief geschrieben, in dem er unwahre Angaben über
die Verhältnisse in Deutschland machte. Bei seiner Verhaftung wurde eine Reihe kommunistischer
Zeitungen bei ihm vorgefunden...Das Gericht warf in diesem Falle eine Gefängnisstrafe von einem
Jahr und zwei Monaten aus.“
Aus dem Zuchthaus Bautzen 1935 schwer krank entlassen, kann er nicht mehr zurück in die
Akademie. Die Musterung zur Wehrmacht fällt mit dem Blauen Schein - der Wehrunwürdigkeit -
für ihn doch positiv aus, denn in einen Krieg als Kanonenfutter, will er auf keinen Fall.
Rückhalt findet er weiter bei seinen Eltern und den Freunden, den Genossen. Der Lebensunterhalt
wird mit Hilfsarbeiten bestritten. Die Rückkehr in den Widerstand gehört für ihn zur
Selbstverständlichkeit – jetzt erst recht.
Heimlich hört er Radio, Sender Moskau und 28,9 – der deutsche Sender des republikanischen
Spaniens. Gern wäre er selbst im Kampf dabei. Weiter verteilt er Flugblätter, schafft Solidarität mit
dem spanischen Volk und versucht in Gesprächen die Menschen zur Umkehr zu bewegen.
Nach einem illegalen Grenzübertritt und einem kurzen Aufenthalt in böhmisch Ostrau erfolgt die
letzte, die endgültige Verhaftung. Ohne einen Nachweis einer illegalen Aktivität wird er mit
erneutem Schutzhaftbefehl in das Konzentrationslager Buchenwald überstellt.
Als rückfälliger politischer Häftling wurde er besonders markiert, mit einem roten Ring aus Ölfarbe
an der Kleidung. In der Lagersprache gehörte er nun zu den Ringeltauben. Er erhielt die
Häftlingsnummer 2625.
Dass er die Haft überstehen konnte, betrachtete er rückblickend als einen großen Zufall. Die
Konfrontation mit unvorstellbarer Gewalt, menschenunwürdigsten Bedingungen zum Vegetieren,
Tod und Sterben in jeglich vorstellbarer Form, qualvoll schwerster Arbeit, führten den jungen Mann
und seine Kameraden an die Grenzen der Lebenskraft und des Überlebenswillens.
Dabei blieben sie menschlich zueinander, blieben aktive Widerstandskämpfer auch hinter dem
Draht. In Buchenwald und später dem Außenlager Lauenburg des KZ Stutthof konnten sie sich
behaupten. In den letzten Tagen vor der Befreiung waren sie sogar bewaffnet, flüchteten von dem
Todesmarsch.
Am 8. März 1945 befreiten ihn Angehörige der Roten Armee. Ohne Schonung und voller
Tatendrang stellte er sich dem Ringen um ein Ende des Faschismus zur Verfügung. Im Frühsommer
1945 endlich wieder in seiner Heimat angekommen, musste er sich um die ausgebombten Eltern
sorgen, beteiligte sich am Aufbau einer neuen Ordnung, einer anderen, friedliebenden und sozialen
Gesellschaft, versuchte anzuknüpfen an seine Träume vor dem 30. Januar 1933 und schöpfte aus
den Erfahrungen eines harten Lebens mit unüberwindbaren Brüchen.
Siegfried Lässig wurde im Alter von 18 Jahren das erste Mal festgenommen, er war am Tag seiner
Befreiung 30 Jahre alt.
Dieser Stolperstein soll ein Anstoß sein, an ihn und sein Wirken, sein Ringen, seine Träume zu
erinnern.
Anfragen zur Stolpersteinpatenschaft richten Sie bitte direkt an uns, den Stadtverband Chemnitz des VVN/BdA,
E-Mail: info(at)vvn-bda-chemnitz.de
Postanschrift:
VVN-BdA Chemnitz
09002 Chemnitz
Postfach: 251
Erreichbar in der Zeit :
Mittwoch, 10.00 Uhr bis 12.30 Uhr
14.00 Uhr bis 17.00 Uhr
Telefon: +49 15140186592